Von Hollywood bis Buxtehude: Botox wird immer beliebter
Vor 20 Jahren wurde das Medikament Botox als Kosmetikum entdeckt. Heute hängt die halbe Welt – Schauspieler, Anwälte und Angestellte, Karrierefrauen genauso wie Hausfrauen – an der Botox-Nadel – und lässt sich minimale Dosen in die Stirn spritzen, um die Zornesfalten zum Verschwinden zu bringen. 3,2 Millionen Behandlungen werden pro Jahr in den USA gezählt, Tendenz steigend. „Ist es tabu , so alt auszusehen, wie man ist?“, fragte die New York Times. Nun, es sieht ganz so aus. Heute kommt Botox im Blitzlichtgewitter auf dem roten Teppich zum Einsatz. Bei der Oskar-Verleihung Ende Februar haben die „Botox-Faces“ wieder in die Kameras gestrahlt – Stars wie Sharon Stone oder Sylvester Stallone, die alle Jahre wieder noch glatter und jugendlicher aussehen. Botox hemmt die Erregungsübertragung von Nervenzellen zum Muskel, wodurch die Kontraktion des Muskels je nach Dosierung schwächer wird oder ganz ausfällt.
Manche Mediziner bezeichnen das Neurotoxin Botox ganz ironiefrei als „Penicillin des 21. Jahrhunderts“. Denn genau wie das Antibiotikum ist auch Botox das Produkt eines bakteriellen Stoffwechselprozesses, und wie das Antibiotikum ist es in der Lage, Beschwerden zu lindern. Fast jeder Muskel kann mit Botox behandelt werden. Das Mittel hilft besonders Kindern mit spastischer Bewegungsstörung. Darüberhinaus reicht die Anwendung bis zur Behandlung von krankhaft vermehrten Schwitzen.
Erst in den achtziger Jahren entdeckte die kanadische Ärztin Jean Carruthers, dass Botox nicht nur das Lidzittern bei einer Patientin verschwinden ließ, sondern auch die Falten auf der Stirn – woraufhin die Patientin nach ihrer Heilung um eine Fortführung der Behandlung bat. Zusammen mit ihrem Ehemann Alastair, einem Schönheitschirurgen, veröffentlichte Carruthers die erste wissenschaftliche Arbeit über den kosmetischen Einsatz von Botox. Botox kann überhaupt nur Falten zum Verschwinden bringen, weil die Muskeln im Gesicht – anders als an den Armen, Beinen oder sonst am Körper – direkt mit der Haut verbunden sind. Darum entsteht durch die Entspannung der mimischen Muskeln eine glatte, schöne Haut.
In der Szene genießen die Carruthers als „Ma und Pa Botox“ Star-Status. Schauspielerinnen wie Kim Cattrall und Popstars wie Kylie Minogue sind mit ihren ewig jungen Alabaster-Gesichtern die unbezahlten Werbefiguren des Megamarktes. Heute ist die Botox-Spritze der weltweit häufigste Schönheits-Eingriff und so etwas wie der Einstieg in die Schönheitsbehandlung.
Nancy Sinatra nannte Botox „meinen besten Freund im Kampf gegen das Altern.“ Und Teresa Kerry, Ehefrau des demokratischen Präsidentschaftskandidaten von 2003, John Kerry, lobte das Präparat im Medienumfeld des Wahlkampfes: „ I use it, so what.“ Heute geben Stars wie Cindy Crawford offen zu, dass sie ihre Falten auf diese Art und Weise beseitigen lassen.
Botox to go: Aus dem Tabu wurde dank solch prominenter Unterstützung ein Muss. Wer sich die Falten aufspritzen lässt, der zeigt, dass er auf sein Äußeres achtet. Wer weiß, vielleicht werden Falten in Zukunft als eine Form von Unhöflichkeit gegenüber dem Mitmenschen gedeutet, so unnötig wie unrasierte Achselhaare.
Im Badezimmer einer durchschnittlichen deutschen Frau steht ein knappes Dutzend Cremetöpfchen und Schönheitswässerchen, lauter unerfüllte Versprechen. Spritze und Botox sind härtere Geschütze: Der leichte Schmerz, wenn die Nadel in die Haut dringt, ist kein vermeidbares Übel, sondern ein zusätzliches Verkaufsargument – es demonstriert auf eindringliche Weise, dass jetzt Ernst gemacht wird mit der Wiederherstellung körperlicher Attraktivität. Die Botox-Spritze ist zur Ikone der ewigen Jugend geworden, zur Impfung gegen das Altern.
Quelle: Süddeutsche Zeitung, 30. März 2008